Online-Plattformen für industrielle Fertiger

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Online-Plattformen für industrielle Fertiger

ISW Consult
Online-Transaktionsplattformen für industrielle Fertiger
  
Wie ist es um die Erfolgschancen dieser Plattformvariante bestellt?
 
Im vorausgehenden Blog-Beitrag wurden die Grundbedingungen für das Skalierpotenzial einer Online-Transaktionsplattform herausgearbeitet und erläutert. Liegen diese Bedingungen in idealer Form vor, so ist das Potenzial für ein schnelles und am Ende zu Marktdominanz führendes Hochskalieren sehr groß. Dadurch dass sich diese Online-Plattformen als trennender (Ver-) Mittler zwischen Anbieter und Nachfrager schieben, eröffnet einmal erlangte Marktdominanz - in Verbindung mit dem Informationsmonopol über entscheidende Marktparameter auf beiden Seiten des Marktes - eine starke Verhandlungsmacht. Dieses gilt insbesondere gegenüber den ‚angeschlossenen‘ Anbietern.
 
1. Seit einigen Jahren haben verschiedene Transaktionsplattformen eine solche Marktdominanz mit entsprechender Marktmacht erreicht, und die feststellbaren Marktpraktiken verweisen zumindest auf die partielle Ausnutzung dieser Marktmacht zuungunsten von gewerblichen Anbietern (KMU). Dass dieses so ist, lässt sich auch daran ablesen, dass die Wettbewerbspolitik bereits darauf reagiert hat. Der inhärenten, außerordentlich großen räumlichen Reichweite der betreffenden Transaktionsplattformen entsprechend setzt die wettbewerbspolitische Reaktion auf europäischer Ebene an. Konkret soll mit der seit Juli 2020 in Kraft getretenen Verordnung zur Förderung von Fairness und Transparenz (EU) 2019/1150 für die Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten die Fairness verbessert, die Transparenz erhöht und die Rechtshilfemöglichkeiten erweitert werden. Diese EU-Verordnung erstreckt sich aber nur auf Geschäfte zwischen gewerblichen Kunden und Verbrauchern (B2C), nicht dagegen auf Geschäfte im B2B-Bereich, also zwischen gewerblichen Kunden auf beiden Seiten des Marktes.   
 
2. Mittlerweile existieren aber auch Online-Transaktionsplattformen, die die Grundbedingungen für einen Erfolg bzw. das schnelle Hochskalieren nur zum Teil in idealer Weise erfüllen. Dabei geht es nicht um den Verkauf fertiger Konsumgüter, sondern um die Erstellung von Leistungen, die erst mit der Vergabe des Auftrags erbracht werden. Beispiele sind etwa die Vermittlung von (Linien-) Fernbusfahrten über die Plattform FlixBus oder verschiedenster Printprodukte über die Plattform FlyerAlarm. Die zu erbringenden Leistungen können zwar als weitgehend standardisiert gelten, und auch die Nachfrage ist dispers im Raum verteilt, jedoch stehen auf der Angebotsseite nur eine begrenzte Zahl von Busunternehmen bzw. Druckereien, die weit weniger gleichmäßig im Raum verteilt sind. Hier Marktdominanz im Wege des Hochskalierens zu erzielen, ist nicht so leicht wie bei räumlich dispers verteiltem Angebot, das aus zahlreichen, sehr kleinen Angebotseinheiten besteht (Beispiel: über die Plattform Airbnb vermittelte private Übernachtungsangebote).
 
3. Darüber hinaus entstanden in der jüngeren Vergangenheit - in weitgehender Analogie - Online-Plattformen als Start-ups, die industrielle Leistungen, genauer Fertigungsleistungen, an andere gewerbliche Unternehmen vermitteln (I2I) und bei denen in Presseüberschriften wie „Millionen für die Vorherrschaft“ das klare Ziel der Marktdominanz (etwa im Bereich der Blechteilefertigung) zum Ausdruck kommt. Grundlage für einen Auftrag bilden dabei CAD-Dateien. Wahlweise übernehmen Fertigungs-Vermittlungsplattformen auch die CAD-Konstruktion. Darüber hinaus werden Produzentenauswahl, Auftragsvergabe und Auftragsabwicklung, aber auch die Sicherstellung von Produktqualität und Termintreue übernommen. Wichtig für den Betrieb der Plattform ist, dass das Netzwerk der vertraglich gebundenen Fertiger nicht aufgedeckt wird, gewerbliche Nachfrager vorab also nur allgemeine Zusicherungen zu Qualität, Zertifizierungen etc. erhalten. Die Plattform nutzt folglich ihr Informationsmonopol.
 
Doch wie steht es um die Grundbedingungen der Skalierbarkeit? Auf der Angebotsseite findet sich nur eine begrenzte Zahl einschlägiger, industrieller KMU, die eigenständige Unternehmen darstellen, die anders als im Idealfall weit weniger dispers im Raum verteilt sind und die auch in der Regel bereits über spezielle Lieferbeziehungen zu ihren Abnehmern verfügen. Auf der Nachfrageseite steht eine ganze Vielfalt disparater Industrieunternehmen aus unterschiedlichen Branchen mit unterschiedlicher Größe und Unternehmenskultur, aber häufig durchaus eigenständigem Einkaufs-Know-how. Diese Vielfalt - im Gegensatz zur homogenen Nachfragestruktur bei den privaten Haushalten - erschwert die Kundenakquise.
 
Auf der Produktseite ist etwa bei Blechteilen Kleinteiligkeit in Verbindung mit großen Stückzahlen und bis zu einer gewissen Grenze auch ein Standardisierungsgrad gegeben. Die Komplexität der geforderten Fertigungsprodukte als Vorprodukte kann aber schnell zunehmen und einen direkten Dialog zwischen nachfragendem und fertigendem Unternehmen erfordern. Dieses gilt insbesondere bei neuen Teilen, die in Werkstoff, Geometrie, Oberflächeneigenschaften etc. besondere Anforderungen stellen. In diesen Fällen stellt sich die Frage, warum man einen Mittler dazwischenschalten soll, der die Abstimmung in einem solchen Fall erschwert und zudem die Fehleranfälligkeit erhöht.
 
Damit sind wichtige Abweichungen von den idealen Grundbedingungen für das Skalierpotenzial benannt, die es erschweren, auf schnelle Weise hochzuskalieren und die angestrebte Marktdominanz zu erreichen. Insbesondere dürfte die Kundenaufschließung auf der Nachfrageseite, aber auch auf der Angebotsseite mit deutlich mehr Aufwand, insbesondere mehr Anstrengungen in der Marketingkommunikation, verbunden sein. Zugleich muss sich eine Transaktionsplattform gerade im Bereich industrieller Fertigung eine hohe Qualitätsreputation auf beiden Marktseiten erarbeiten.
Auch folgt aus der Tatsache, dass die Plattform eine hinreichende Marge für ihre Vermittlungsleistung erwirtschaften muss, die Notwendigkeit, den daraus entstehenden Kostennachteil auf eine der beiden Markseiten zu verteilen. Dabei ist davon auszugehen, dass dieses vor allem die industriellen KMU auf der Angebotsseite betreffen dürfte. Dieses wiederum bedingt, dass für diese KMU ein anderer Vorteil den Nachteil kompensieren muss, was sicherlich nicht immer gegeben ist. Ein Vorteil könnte etwa in der Sicherheit liegen, hinreichend Aufträge zur Auslastung der eigenen Fertigungskapazitäten vermittelt zu erhalten. Das wiederum könnte vor allem in konjunkturell schwierigen Zeiten ein Argument sein, wenn die Online-Plattform hier klare Vorteile bei der Akquisition von Aufträgen bietet.  
 
Soweit die eher statische Betrachtung (gegebene Unternehmen auf der Angebots- und Nachfrageseite). Industrielle Unternehmen sind aber dynamische Entscheidungseinheiten, die sich stets weiterentwickeln müssen, und zwar sowohl bei den Produkten als auch in ihrer Fertigung, um am Markt bestehen zu können. Dieses geschieht im industriellen Bereich vielfach durch direkten Austausch zwischen Nachfrager und Anbieter. Eine Online-Plattform, die sich - womöglich mit exklusiv bindenden Verträgen - zwischen die Marktseiten schaltet, unterbricht diese für die Innovation zentralen Austauschprozesse. Dieses gilt selbst auch für Lohnfertiger bzw. Job Shops, bei denen häufig von keiner Weiterentwicklung ausgegangen wird, was aber die Realität nicht trifft.
 
Besonders augenfällig sind die angesprochenen Entwicklungsprozesse bei industriellen Fertigern, die sich vom schlichten Einzelteil über Teile mit komplexeren Geometrien und Oberflächenanforderungen hin zu Konstruktion und Fertigung ganzer Baugruppen entwickeln. Eine zwischengeschaltete Online-Plattform kann die dabei erforderlichen, individuellen Austauschprozesse zwischen Anbietern und Abnehmern nicht leisten, denn diese Prozesse und deren Ergebnisse setzen hohe Freiheitsgrade voraus und sind weit entfernt von Standardvorgängen.
 
Insgesamt folgt aus den vorstehenden Überlegungen, dass es Anbieter von Online-Transaktionsplattformen für industrielle Fertiger im Vergleich mit den großen etablierten Transaktions-Plattformen deutlich schwerer fallen dürfte, Markdominanz zu erreichen. Zugleich ist aber das Ziel der Marktdominanz in innovations- und wettbewerbspolitischer Perspektive kritisch zu betrachten. Effizienz in Fertigung und Abwicklung sind das eine, innovative Weiterentwicklung in eigenständiger, unternehmerischer Entscheidung ist aber das eigentliche Momentum für die Wettbewerbsfähigkeit und die fortgesetzte Prosperität von Branchen.


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