Trends der Wirtschaftsflächennachfrage

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Trends der Wirtschaftsflächennachfrage

ISW Consult
Veröffentlicht von Dietmar Böhm in Wirtschaftsflächen · 12 April 2023
Die Entwicklung des Wirtschaftsflächenverbrauchs unterliegt einerseits (kurzfristigen) konjunkturellen Schwankungen. Darüber hinaus verändern auch langfristig wirkende Einflüsse die Wirtschaftsflächennachfrage. Dabei überlagern sich verschiedene Trends, sodass für Baden-Württemberg insgesamt kein stetiger Verlauf zu erkennen ist. Im Einzelnen lassen sich die folgenden Entwicklungsparameter herausstellen.
 
Städtebauliche Trends
 
Noch bis in die Nuller-Jahre hinein waren die Ansiedlung großflächiger Handelsbetriebe auf der „grünen Wiese“ oder die Verlagerung von Industriebetrieben aus innerörtlichen Gemengelagen auf neue Industrieflächen an den Stadträndern bzw. in die Randzonen der Agglomerationen maßgebliche Komponenten der (dezentralen) Wirtschaftsflächennachfrage. Mittlerweile aber spielen diese Themen für die Neu-Inanspruchnahme von Flächen keine nennenswerte Rolle mehr. Die Verlagerungen von Industriebetrieben aus innerörtlichen Lagen - aufgrund störender Emissionen oder fehlender Erweiterungsmöglichkeiten - sind weitestgehend abgeschlossen. In der Folge wurden die innerörtlichen Industrieimmobilien häufig zu Wohn- oder Bürostandorten „aufgewertet“. In der Entwicklung des großflächigen Handels auf der grünen Wiese dürfte auch schon seit längerem eine Sättigung eingetreten sein. Zudem spüren auch diese Handelsstandorte den steigenden Druck des Online-Handels.
 
Globalisierungseinflüsse
 
Maßgeblicher Treiber der Gewerbeflächennachfrage der letzten drei Jahrzehnte war die Logistik. Darin spiegeln sich die Anpassungen an raumprägende Makrotrends wie die Integration der osteuropäischen Länder in die Wertschöpfungsketten seit Anfang der 90er Jahre oder der Aufstieg Chinas zum Produktionsstandort für die Welt seit Anfang der 2000er Jahre wider. Folge war auch die Neuausrichtung der Logistikketten und eine hohe Nachfrage nach neuen Logistikstandorten.
 
Weitere Folge der intensivierten internationalen Verflechtung speziell in Baden-Württemberg war eine zunehmende Spezialisierung auf die Mobilitäts- und Produktionscluster als landesweite Themen und darüber hinaus auf eine Reihe eher regional konzentrierter, aber international hoch wettbewerbsfähiger Cluster mit sehr spezifischen Flächenbedarfen. Als Kehrseite zur Konzentration auf wissensintensive Güter ist insbesondere die Fertigung in weniger anspruchsvollen Bereichen gesunken bzw. abgewandert, mit der Folge der Unternutzung oder Freisetzung von Wirtschaftsflächen.
 
Organisationsstrategien
 
Merkliche Wirkungen auf die Flächennachfrage resultierten aus innovativen Organisationsstrategien wie Lean-Management und Outsourcing, die vor ungefähr drei Jahrzehnten aufkamen. Stark profitierten davon Logistikunternehmen und generell die unternehmensorientierten Dienste einschließlich IT. Darüber hinaus fand auch die Auslagerung von Fertigungstätigkeiten zu „Produktionsdienstleistern“ statt. Gemeinsam ist diesen Prozessen, dass Unternehmen mit Konzentration auf ihre Kernwertschöpfung Aktivitäten an ihren Standorten abbauen, die gebündelt an anderen Standorten immer wieder Bedarfe für zusätzliche Wirtschaftsflächen generieren.
 
Digitalisierung
 
Eine überragende Rolle für die weitere wirtschaftliche Entwicklung hat die digitale Transformation. Zwar sind auch die oben skizzierten Prozesse eng verknüpft mit der sich seit mehreren Jahrzenten beschleunigenden Digitalisierung. Verschiedene Themen erlangen aber erst durch die wachsende digitale Vernetzung Relevanz. Konsequenzen für die Flächennachfrage sind differenziert zu betrachten. Im Einzelnen lassen sich folgende Thesen formulieren:
 
  Mit steigender Bedeutung des Onlinehandels gerät der stationäre Handel zunehmend unter Druck und konzentriert sich wieder stärker auf die Zentrumslagen, sodass am Ende Flächen für neue Nutzungen an den Stadträndern frei werden (könnten).
 
  Das Wachstum der Logistikflächen für den Onlinehandel nahm mit Beginn der 2010er Jahre merklich an Fahrt auf. Die großflächigen Logistikstandorte der marktdominierenden Online-Handelsunternehmen dürften mittlerweile weitgehend etabliert sein. Darüber hinaus werden Tätigkeiten für den Online-Handel verstärkt an Logistikunternehmen ausgelagert („E-Commerce Fullfillment“). Ein weiterer Trend in der Entwicklung der Online-Logistikimmobilien geht in Richtung Feinverteilung zur Beschleunigung der Lieferzeiten.
 
  Digitale Plattformen zeichnen sich dadurch aus, dass ein kleinteiliges „physisches“ Angebot digital gebündelt wird. Im Einzelfall haben diese starke Auswirkungen auf die Verteilung von Umsätzen und Renditen zwischen den Akteuren. Raumwirksamkeit und Nachfrage nach Wirtschaftsflächen entsteht dadurch aber nur punktuell und an wenigen Standorten.
 
  Die verschiedenen Digitalisierungsthemen, die unter dem Begriff Industrie 4.0 zusammengefasst werden, führen zu einer Beschleunigung von Wissensintensivierung, Automatisierung und Flexibilisierung in der Industrie. Dies setzt auch Potenziale zur Steigerung der Flächenproduktivitäten frei, das heißt auf gegebener Fläche kann eine höhere Wertschöpfung realisiert werden. Eng verknüpft damit sind auch Themen wie digitale Bauplanung (BIM) und die digitale Simulation von Fertigungsprozessen, die die Planbarkeit einer Verdichtung bestehender Produktionsstandorte bis hin zur vertikalen Produktion deutlich verbessern.
 
  Die Corona-Pandemie wirkte als „Booster“, die Chancen der Digitalisierung zur räumlichen Flexibilisierung von Arbeitsplätzen auszuschöpfen. Dies bezieht sich aber nicht nur auf gängige Bürotätigkeiten. Beispielsweise ist im Zuge von Industrie 4.0 die Überwachung und Steuerung von Produktionsprozessen nicht mehr unbedingt auf die Anwesenheit von Fachkräften „vor Ort“ angewiesen.
 
  Mit der Digitalisierung von Produktionsverfahren und insbesondere mit der Diffusion des 3-D-Drucks werden auch Szenarien der Rückverlagerung von Produktion in die Zentren diskutiert („Urban Production“). Echte Beispiele dafür finden sich aber bislang kaum und auch eine merkliche Zunahme von Produktionsstätten in urbanen Gebieten erscheint aus unserer Sicht mehr als fraglich, insbesondere wenn sie Lieferverkehre und Geräuschemissionen verursachen.
 
Weitere Nachfrage nach Wirtschaftsflächen
 
Für die weitere Wirtschaftsflächennachfrage lässt sich die These aufstellen, dass die skizzierten weltwirtschaftlichen bzw. technisch-organisatorischen Veränderungen einen permanenten Strukturwandel befördern und eine latente Flächennachfrage erzeugen. Das dadurch ausgelöste Wirtschaftsflächenwachstum dürfte aber – auch angesichts der langen Wirkungszeiträume – seinen Höhepunkt deutlich überschritten haben. Auch die Logistikinfrastruktur des Online-Handels ist mittlerweile in wesentlichen Teilen etabliert. Die weitere digitale Transformation wirkt eher in Richtung höherer Flächenproduktivitäten. In der Summe könnten diese Entwicklungen auch die aktuell spürbar gesunkene Neuinanspruchnahme von Flächen für wirtschaftliche Zwecke erklären.


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